Donnerstag, 26. Juli 2012

Neid versus Lebensfreude

(Ich gebe der Quizauflösung noch bis zum Wochenende Zeit.)

Durch verschiedene Umstände, Gespräche, ein grandioses Buch und in verschiedenen Situationen bin ich in den vergangenen Wochen immer wieder auf das Phänomen Neid gestoßen. Damit meine ich nicht einen beiläufigen, freundschaftlichen Neid darauf, daß mein bester Kumpel im Urlaub tolles Strandwetter hatte, während es bei mir nur geregnet hat (als Beispiel), sondern Neid, der dem Neider selbst nicht bewußt ist, aber mit voller Wucht ausgespielt wird. Neid, der letztlich ein verkapptes Schamgefühl, ein inneres Bedauern oder eine Angst ist, sich aber im Geifern nach außen auf die Personen, auf die man neidisch ist, manifestiert. Da ich selbst wenig zum Neid neige, sondern eher zu einer unverhältnismäßigen Bereitwilligkeit zu glauben, ich hätte sowieso alles nicht verdient, betrachte ich das Phänomen mit besonderer Faszination.
Als Beispiel mag in meinem Fall vielleicht das furchtbare Konzert gelten, von dem ich vor einer Woche berichtet habe. Es waren 550 Leute in der Kirche, die Karte hat 22 € gekostet, das ergibt über 12000 € Einnahmen für einen Abend schlecht ausgeführter Musik. Da spüre auch ich Neid und Zorn. Weil ich meine negativen Gefühle gerne zerkaue, bis ich alle Bestandteile analysiert habe und mir daraus eine Lösung bauen kann, mußte ich allerdings eingestehen, daß ich niemals 12000 € an einem Abend einnehmen werde, solange ich glaube, meine Lieder und ich hätten es nicht verdient, in die Öffentlichkeit zu gehen. Mein Heilmittel gegen meinen Neid ist also in diesem Fall, selbst Konzerte zu geben.

In der umgekehrten Lage, wenn ich es bin, die beneidet wird, komme ich oft nicht so leicht davon. Mir sagen oft Menschen, ich hätte ja ein besonderes Talent und es müsse doch schön sein, wenn einem die Dinge so zuflögen. Ich kriege dann immer eine leichte Krawatte. Ich bin Musikerin und arbeite viel mit Amateuren, die diese Ansicht vertreten und dazu manchmal unterschwellig mit leidendem Gesichtsausdruck sagen wollen, ich hätte ja nie etwas leisten müssen, mir sei eben einfach etwas gottgegeben und unverdient in die Wiege gelegt worden, und daher wisse ich gar nicht, was richtige Arbeit sei. Diese Meinung kam auch schon von hart arbeitenden Familienmitgliedern, die sich nicht dafür freuen konnten, daß nach Generationen von Möchtegernmusikern, die alle gezwungen wurden, mit 14 eine Lehre anzufangen und in einem vollkommen unlebenswerten Beruf Jahrzehnte vor sich hin zu ackern, wenigstens einer von uns nun die Chance dazu hat. Statt mir ihre volle moralische Unterstützung und Begeisterung zu schenken, weil sie selbst als junge Menschen das gefühlt haben, was ich gefühlt habe, nämlich diese bedingungslose Hingabe und Liebe zur Kunst, und sich zu freuen, jemanden unter sich zu haben, den man auch mal offiziell zu einem runden Geburtstag oder einer Silberhochzeit engagieren könnte (was nie passiert), werfen sie mir vor, ich sei nicht den härteren Weg gegangen und mein Leben hätte immer nur nach Honig und Rosen geduftet und meine chronische Geldnot sei die gerechte Strafe.

Ja, natürlich überziehe ich - das hat mir niemals jemand wörtlich so gesagt. =)

Dennoch bin ich überzeugt, daß es Neid ist, der dahinter steckt. Großes Bedauern über eigene verpaßte Möglichkeiten und der Neid, daß meine Eltern im Gegensatz zu ihren eigenen sich nicht haben nehmen lassen, mir alles zu ermöglichen, wozu sie nur irgend imstande waren. Und es ist immens wichtig, daß ich mir immer wieder vor Augen führe, daß es nicht mein Versagen, mein mangelnder Verdienst und meine Faulheit sind, die hier angeprangert werden, sondern daß arme Würste ihre uneingestandene Trauer abreagieren. Keiner von ihnen führt sich vor Augen, daß ich auch nicht als Dirigentin, Pianistin oder Sängerin auf die Welt gekommen bin. Ich habe zusätzlich zu meinem Talent viel probiert und geübt, ich habe gelernt. Ich wurde schon im Kindergarten getrimmt, habe mit sieben Jahren verzweifelt versucht, zu verstehen, wie Kadenzen funktionieren und kann sie heute mit freundlicher Nonchalance erklären - Leuten, die dann ebenso verzweifelte Gesichter machen wie ich damals und mir mit dem "Dir ist ja auch alles in den Schoß gefallen, bei Dir ist das ja ein Talent" - Argument kommen.

Dieser Neid kommt immer wieder in allen Situationen auf uns zu. Einer Herzensfreundin von mir, die seit Jahren an einer Autoimmunerkrankung leidet und seit Neuestem Cortison zu nehmen gezwungen ist, kam eine Arbeitskollegin mit perfide überzogenem Pseudomitleid über ihr verquollenes Gesicht. Meine Freundin ist eine besonders hübsche (ja, auch mit Cortison) und sehr gepflegte Frau und hat großen Spaß daran, an ihrem Erscheinungsbild zu feilen und sich zu schmücken und diese Kollegin konnte auch, nachdem meine Freundin sie bat, das Thema fallenzulassen, nicht aufhören, immer und immer wieder darüber zu sticheln und zu betonen, es sei ja nicht so schlimm, wenn man furchtbar aussähe... bis die Tränen flossen. Das ist einfach nur widerliche Häme, geboren aus der Unfähigkeit, einem anderen Menschen seine Vorzüge zuzugestehen und herzlich zu gönnen, weil man sich selbst unzulänglich findet.

Einer anderen Herzensfreundin erklärt man immer wieder, Pferdezucht sei doch total blöd, wer wolle denn schon ein Pferd und noch dazu so ein kleines, und sie solle doch lieber einen richtigen Beruf ergreifen. Diese Freundin hat ihr Abitur mit einem Durchschnitt von 1,2 oder so gemacht und erst Tiermedizin, dann Philosophie und Geschichte studiert. Sie hat sehr erfolgreich ein Gestüt in England geleitet, rettet immer mal irgendwelche Kleintiere vor einem frühzeitigen Tod, besucht mit ihren Miniaturpferden kranke und sterbende Patienten in Altersheimen direkt am Bett, betreut Behindertengruppen, bespaßt Kinder, rutscht tagelang auf Knien über Koppeln um giftige Pflanzen auszureißen, ist Fachkraft für Tiergestütze Therapie, schuftet körperlich wie ein Tier und macht sich gleichzeitig auch noch Gedanken um die optimale therapeutische Versorgung der ihr Anvertrauten. Und sie wird für all das kaum bezahlt - weil es ja nur ihr Vergnügen ist und kein richtiger Beruf. Da kommen die Behindertenbetreuer und fragen treuherzig nach einer Stunde Arbeit "Sagen Sie, kriegen Sie dafür jetzt eigentlich etwas?" Und weil sie genau wie ich in dem Glauben erzogen wurde, Arbeit müsse wehtun und wir hätten es nicht verdient, von etwas zu leben, das uns in tiefster Seele glücklich macht... sagt sie nein.

Müssen wir nicht genau dort ansetzen? Wir dürfen uns nicht von solchen Äußerungen klein machen lassen. WIR sind nicht weniger Wert, weil ein anderer Mensch den ideellen Wert unserer Arbeit nicht anzuerkennen imstande ist. WIR sind nicht gemeint, wenn jemand eine häßliche Bemerkung fallen läßt.  Mir ist auch oft aufgefallen, daß es genau die Menschen sind, die ständig "Mein Gott, guck mal, ist der/die fett" sagen, die selbst Angst davor haben, aus ihren Gleisen zu laufen. Was kümmert es mich, ob jemand fett ist? Wenn er nicht darüber jammert, sondern ein total lebensfroher Mensch ist, meine Güte, dann soll er doch rollen wie er will. Wen geht das etwas an?
Es sind die Menschen, die darauf herumhacken, daß man uns Künstlern, uns nicht im 9-5-Schema Lebenden angeblich Zucker in den Arsch geblasen hätte, die selbst panische Angst davor haben, mal etwas Überraschendes zu tun. Mal ein Bild zu malen. Mal laut im Garten zu singen. Mal etwas zu schnitzen. Mal die Wohnung umzudekorieren nach 40 Jahren. Nein, sowas tut ein Fabrikarbeiter Mitte 50 doch nicht! Das ist weibisch und überhaupt. Was soll das denn bringen? Da hacke ich lieber auf Leuten herum, die den Mut haben, zu ihren Träumen zu stehen, denn sie sind schließlich, ähm, Träumer. Und ein Träumer zu sein ist selbstverständlich etwas Schlechtes - das Gegenteil von lebenstüchtig und praktisch.
Ich finde es enorm wichtig, uns sofort innerlich davon abzugrenzen, wenn so eine blöde Bemerkung kommt. Ein mitleidiges Lächeln in Richtung des Sprechers hat man vielleicht nicht sofort drauf, aber schön wäre es. =)

Und andersherum: Wenn ich bemerke, wie beim Beispiel oben, daß ich selbst jemanden beneide, dann ist das immer ein großes Achtung für mich. Achtung, Hummel, hier unterdrückst Du einen Traum. Achtung, Hummel, hier vergiftest Du Dich, indem Du Dich weigerst, etwas Schönes in Dein Leben zu lassen und äußere Umstände vorschiebst. Das Eingeständnis ist nie einfach, aber immer wichtig und eine weitere Tür, die man in sich selbst öffnen kann, um mehr Licht ins Herz zu lassen.

8 Kommentare:

athena hat gesagt…

Was ein wunderbarer Beitrag, meine Maus und das am frühen Morgen! Ich sage das jetzt nicht weil Du mich erwähnt hast (wofür ich Dich aber 1000mal drücken und danke sagen möchte - sooo liebe Worte!), generell mußte das wohl alles einfach mal gesagt werden! Übrigens: Das was Du da über dieses schlechte Konzert mit den 12.000,-€ Einnahmen beschreibst ist meiner Meinung nach weder Neid noch Mißgunst. Du ziehst lediglich einen leistungsbezogenen Vergleich und schließt daraus dass diese Personen eher unrechtmäßig eine Stange Geld kassiert haben, während *andere* schuften und rackern und quasi gar keinen Lohn erhalten. Das hat für mich eher was mit Gerechtigkeit zu tun, denn mit Neid. Aber die Sache mit dem Wetter fand ich richtig. ;-)

Was die Menschen angeht, die sich irgendwie in gewisser Weise ein wenig abfällig über Dein gottgegebenes Talent äußern (was ich sicherlich ebenso sehe, aber nicht meine dass Du deshalb nicht arbeiten müßtest), muß ich Dir definitiv zustimmen. Das ist Neid! Wenn man an jemandem etwas sieht, das man selber nie haben konnte, obwohl man es sich noch so sehr gewünscht hat und dann solche Äußerungen von sich gibt, resultiert dies sicherlich aus der eigenen Unzufriedenheit!

Nochmal: Ganz toller Artikel, Du sprichst mir aus der Seele (wie kommt das wohl?) ;-)

Love you from the heart, my Dear AND I believe in you :-*

Hummel hat gesagt…

=) *knuddel*

Tina hat gesagt…

Ach, vielen Dank für diesen Beitrag, der - wie immer - innerlich hilft (ob er äußerlich was verändert, muss man sehen). Und da ich ich bin, muss ich ja doch mal richtig stellen, dass ich mein Abi mit 1,6 gemacht habe.
Und jetzt gehe ich im herrlichen Somnmerwetter mit 2 Pferdchen eine Stunde lang ins Nachbardorf spazieren, damit sie dort den Rasen kurz fressen - mein Beruf hat doch seine Sonnenseiten.

Hummel hat gesagt…

=) Hat er. Neulich habe ich "Babettes Fest" gesehen. Da sagt am Schluß jemand: "Dann werden Sie jetzt also für immer arm sein?" und die Antwort: "Ein Künstler ist niemals arm." So hast Du Deine sonnigen, pferdigen Stunden, ich habe meine Lieder und Bilder und Texte; andere Leute kochen und dekorieren vielleicht zu Hause mit viel Enthusiasmus. Jeder hat seinen Reichtum irgendwo, nicht wahr? Wenn man ihn nur zuläßt.

Tina hat gesagt…

ach, das hast du schön gesagt...

Rowan hat gesagt…

<3

Éori hat gesagt…

"Ich finde es enorm wichtig, uns sofort innerlich davon abzugrenzen, wenn so eine blöde Bemerkung kommt. Ein mitleidiges Lächeln in Richtung des Sprechers hat man vielleicht nicht sofort drauf, aber schön wäre es."

Das schreib ich mir (in Ermangelung eines Poesiealbums oder Kondolenzbüchleins) gleich mal in den Kalender.

Hummel hat gesagt…

Hoch Du... =)