Montag, 23. September 2013

Wochenrückblick

Erst heute, weil gestern zu müde.

[Wetter] Herbst. Mal kalt, mal warm, immer windig, oft verregnet. Perfekt.

[Gemacht] Gearbeitet. Gemailt. Durchgehalten. Gelächelt. Ums Verrecken gelächelt, tagelang.

[Gesundheit] Blendend außer juckenden Ohren, wie immer.

[Kreatives] Sollte man meinen. Ist aber eher das Gegenteil.

[Genossen] Besondere Emails. Applaus. Gestern Abend ein ausgedehntes Wannenbad bei Kerzenschein.
Ein Gespräch am Frühstückstisch der Pension, wo ich am Wochenende übernachtet habe, mit einem knapp 70jährigen Ingenieur, der ein erstaunlich interessanter Mensch war. Wir kamen vom Schiffshebewerk, welches wir beide großartig finden, auf Weltpolitik und Philosophie im Alltag. Am Ende fragte er mich, was ich denn beruflich machen würde, und ich sagte, ich sei Musikerin. "Oh", rief er anerkennend, "dann sind Sie ja ein ausgesprochen wichtiger Teil der Gesellschaft!" Ha, ja, dachte ich. Ein wichtiger Teil einer Gesellschaft, die an diesem Teil dauernd herumamputiert.

[Gelernt] Es geht immer noch schlimmer.
Selbst die Leute, die mir hier helfen wollen, begreifen das Grundsatzproblem nicht, also werde ich mir wieder selbst helfen müssen. Wie immer das gehen soll.
Menschen, von denen man das nicht mehr erwartet hat, können sich ändern. Zumindest hoffe ich, daß dieser Eindruck nicht täuscht.

[Gefreut] Über ein total ehrliches Kompliment einer Schülermutter.
Über ein wunderbares Zitat, das mir ein Freund geliefert hat und das mich über den Samstag rettete.

[Geärgert] Maßlos. Zu viel für dieses Blog. Seit der Stress langsam abfällt, sprich, seit dem Aufwachen heute früh, bin ich eigentlich durchgehend mies gelaunt. Ich bin sogar beim Telefonieren mit dem Chef in Tränen ausgebrochen. Peinlich. Und alles, was er sagen konnte, war: "Aber die Region braucht einen Menschen Ihres Charakters!" und alles, was ich sagen konnte, war: "Aber ich weiß nicht, ob mein Charakter diese Region braucht!", womit irgendwie alles gesagt ist.
Außerdem darf ich mich jetzt Donnerstag mit ihm und all meinen Lieblingskollegen treffen. Also wieder nix Jam Session.

[Gelesen] Immer noch die Wolfsfrau. Ich kämpfe mich durch dieses Buch wie durch die Arbeit. Aber anders als bei der Arbeit weiß ich, daß hier ein Ende absehbar ist und daß es trotz unserer Meinungsunterschiede auch seine guten Seiten hat.

[Gesehen] Fremde Menschen ohne Ende.
Verhalten, durch das ich aus jeder Pore kotzen wollte.
Rabenschwärme und Zugvögel.
Meinen Exmann.

[Gehört] Viel richtig gute Blasmusik.
Verlogenste öffentliche Anerkennung, hintenrum Geläster auf niedrigstem Niveau.
Speichelleckerei.
Gut gemeinte Aufmunterungsversuche.
Mumford & Sons.
Regen auf den Dachfenstern.

[Getrunken] Kaffee, mehr Kaffee und noch mehr Kaffee.

[Gegessen] Salat am Veranstaltungsort, mit einem müden Lächeln über die Bemerkung, daß aber in den Bouletten auch Gemüse drin sei.
Gestern nach der Arbeit bei meinem Bruder hungrig zwei dicke Scheiben Brot, weil ich wieder mal vergessen hatte, daß ich ja irgendwann auch etwas essen muß. Der letzte Schüler konnte kaum so laut spielen, wie mein Magen geknurrt hat.
Pasta mit Hummels Spezialsauce (passierte Tomaten, ein Schwapps vegane Sahne, viel Pfeffer, Zitronengras, hmmmm).

[Gedacht] Du widerliches, bigottes kleines Stück Dreck.
Lächelllllln!
Wenn das die Aussichten auf den Rest meines Lebens sind, würde ich jetzt bitte gerne aussteigen.
Hallo, meine alte Kaffeemühle! Schön, Dich wiederzusehen! Hallo, meine alte Kommode!
In einem Zusammenhang: Womit habe ich soviel Zuneigung verdient?
Und in einem anderen: Womit habe ich diese stählerne Wand aus Ablehnung verdient?
Mal eine Woche gar nicht zocken ist auch sehr schön.
Der Dirigent haßt das Orchester!


[Gekauft] Ein Buch, das ein Geschenk werden wird.
Ich hatte es auf neue Stiefel abgesehen, da die alten einen Riss haben, aber beim Anblick der Preisschilder habe ich beschlossen, sie mit Panzertape wieder wetterfest zu machen.
Eine Lilie für den Pflanzentisch, weil mir nach Duft war, wenn ich nach Hause komme.

[Gelacht] Immer wieder Mittwochs. Meine Klavierschüler sind wirklich prima. Ich beginne mit klein Lilly, die der totale Knaller ist, und ende mit einem Anwalt, der enthusiastisch alles über das Großhirn lernt und jede Stunde wieder begeistert ist, daß in der Musiktheorie alles einen Sinn macht. Ich mag meine Mittwoche.

[Und sonst so] Künstler im Allgemeinen und Musiker im Besonderen sind, was immer verklärte Klassikradiohörer glauben, keine besseren Menschen als alle anderen Menschen auch. Das wurde mir schon zu Studienzeiten überdeutlich klar. Dennoch verabscheue ich bis heute nichts so sehr wie Leute, die Musik benutzen wie eine Gummipuppe zur öffentlichen Selbstbefriedigung am Bühnenrand. Denen scheißegal ist, wie das klingt, was da klingt. Die sich die Kante geben, bevor sie auftreten. Die sich an schneller-höher-lauter aufgeilen. Die alles, was nicht ihrer Selbstdarstellungsneurose zuspielt, behandeln wie den letzten Dreck.
Und ich sehe fassungslos auf die anderen Leute, die diesen Pseudomusikern dann auch noch frenetisch zujubeln.
Was tue ich hier eigentlich? Ich weiß, wo ich weg will. Jetzt müßte ich nur noch wissen, wohin.

[Ausblick] Nur noch eine Woche bis zu den Ferien. Gottseidank.
Ich will mich nicht verändern - jedenfalls nicht in eine Richtung, die mir aufgezwungen werden soll und die konträr zu meiner gesamten Persönlichkeit steht. Ich will nicht so-sein-wie. Ich will so sein, wie ich es bin, ohne dafür als verweichlicht hingestellt zu werden.
Denn schwach bin ich sicher nicht. Ich bin nur einfach leiser stark.

Ich möchte auch leise brüllen dürfen.



Dienstag, 17. September 2013

free love

Gestern rief meine Mutter mich an, um mich mit ernster Stimme zu einem Gespräch zu bitten. Als ich kam und der Hund, der dann immer völlig ausflippt, sich wieder halbwegs beruhigt hatte, sah sie mich an und sagte mit Grabesstimme: "Ich habe Hosen gekauft." Ich unterdrückte ein Seufzen.
Ich bekomme immer die Sachen, die meine Mama sich blind kauft und die sich dann als zu eng herausstellen. Oder sie kann sich aus irgendwelchen inneren Komplexen heraus nicht selbst etwas gönnen, ohne Papa oder mir etwas mitzubringen. In jedem Fall aber hat sie einen grundlegend anderen Klamottengeschmack als ich. Wirklich, sehr anders.
Aber ich hatte Glück: Aldi hatte wohl Cordhosen und nachdem ich seit Wochen mit einer herumlaufe, die an einer Gürtelschlaufe kaputt ist (was niemand sieht, aber meine Mutter nimmt sowas dennoch als persönliche Beleidigung ihres Erziehungsstils), nenne ich nun wieder eine ordentliche mein Eigen. Kaum hatte ich die erste Hose gottergeben akzeptiert, drückte sie mir eine zweite in die Hand: dasselbe in Rot. Dann deutete sie auf einen Hocker hinter mir, auf dem eine Jacke lag. Ich stöhnte leise und stellte mir vor, wie meine Mutter mit einer Kalaschnikow im Anschlag früh um 7.59 Uhr den Aldi stürmt, um ihrer Tochter Kleidung zu erobern.
Aber all dies war nur ein Vorspiel zum eigentlichen Lied: Meine Eltern hatten wieder mal einen Vorwand gesucht, mir ein Geschenk zu machen. Manchmal brauchen sie das, ich weiß auch nicht, und dann drücken sie mir irgendwas verrücktes, schönes oder lustiges in die Hand. Jedenfalls war es gestern ein wie für mich gemacht erscheindender Pullover mit diesem Motiv auf der Brust:



Ich mag meine Eltern (geschenkeunabhängig), habe ich das schonmal erwähnt? :)

Da ich das Lied, das mir heute schon den ganzen Tag im Kopf herumschwirrt, nirgends zum Anhören im Netz gefunden habe, ersetze ich es mal mit

Diesem wirklich tollen Video.

Das offizielle ist leider von Youtube verschwunden - das rote GEMA-Gesicht lacht einen an -, aber ich wollte auf keinen Remix zurückgreifen. Und der Text ist wie für mich geschrieben.

If you've been hiding from love
If you've been hiding from love
I can understand where you're coming from
I can understand where you're coming from

If you've suffered enough
If you've suffered enough
I can understand what you're thinking of
I can see the pain that you're frightened of

And I'm only here
To bring you free love
Let's make it clear
That this is free love
No hidden catch
No strings attached
Just free love
No hidden catch
No strings attached
Just free love

I've been running like you
I've been running like you
Now you understand why I'm running scared
Now you understand why I'm running scared

I've been searching for truth
I've been searching for truth
And I haven't been getting anywhere
No I haven't been getting anywhere

Sonntag, 15. September 2013

Konzertnachlese | Regenfotosafari

Eigentlich wollte ich heute mein Reisetagebuch beenden. Aber dann kam mir etwas dazwischen: nach nur 4 Stunden Schlaf bin ich aufgewacht - und alles war perfekt. Wie lange habe ich morgens schon nicht mehr gelächelt? Aber heute, heute war alles perfekt. Es hat sogar genieselt, weshalb meine erste Handlung am Morgen darin bestand, mich in Jeans und Fleecejacke zu stecken, mit der Kamera zu bewaffnen und hinauszugehen.

Aber erstmal einen Schritt zurück: Gestern war ich auf dem Geburtstag meines Bruders und seiner Tochter. Das ist immer wieder schön, von der riesigen Familie ein Drittel oder so (um die 20 Mann) in seinem Garten zu treffen, Tischtennis zu spielen, mal wieder mit meiner ältesten Nichte zu reden, die zwar in der Nähe wohnt, aber zu der ich irgendwie trotz des geringen Altersunterschieds von nur 5 Jahren nie so ein echtes Verhältnis aufgebaut habe, und überhaupt und so.

Die Eltern meiner Schwägerin waren auch da. Das ist ein wunderbar herzliches altes, dickes Pärchen, das völlig kritikfrei durch's Leben geht. Sie finden einfach immer alles toll - manchmal macht mich das wahnsinnig, vor allem dann, wenn sie es anstelle einer notwendigen Problembewältigung stellen, aber meistens macht es sie zu unkompolizierten Gesprächspartnern, die einfach auf jeder Party als Kitt zwischen all den wesentlich kritikbereiteren Persönlichkeiten fungieren. =)
Diese beiden sind gesundheitlich nicht mehr besonders gut drauf, haben es sich aber dennoch nicht nehmen lassen, vor einer Woche über eine Stunde aus Berlin raus zu mir aufs Land zu fahren und sich mein Konzert anzuhören. Und weil sie an dem Tag keine Blumen für mich dabei hatten, aber im Nachhinein fanden, das müsse unbedingt sein, bekam ich gestern eine wunderschön duftende Rose.


Hach. Womit ich bei der Konzertnachlese bin. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Vielleicht chronologisch… dieses Konzert war mein erster ganz eigener Liederabend. Mein erstes Lied habe ich mit 12 geschrieben, dann viele Jahre nichts, dann (nachdem ich jahrelang um Ashmodais Gedichte gekreist bin - das hier zum Beispiel, das immer noch "in Arbeit" auf meinem Klavier liegt - und mich endlich irgendwann getraut habe, sie zu fragen, ob ich da was vertonen darf) wieder mit fast 30.

Ich habe gespart wie bekloppt, um mir CD-Aufnahmen leisten zu können, und dann reichte es nur für 4 Lieder. Also spare ich weiter. Ich habe Musiker um mich herum, die für dieses Konzert für mich ohne Gage spielen wollten, einfach, damit ich mich nicht daran ruiniere, weil der Eintritt ja immer frei ist und man nie sagen kann, wieviel im Spendenkorb liegt. Und dann kam genug rein, da die Besucher begeistert gespendet haben und der verantwortliche Kirchenmusiker noch etwas aufgestockt hat.

Außer mir waren noch 8 Leute auf der Bühne, und es gab wirklich, meinen schlimmsten Alpträumen vorher gemäß, nicht eine einzige Probe mit uns allen 9 zusammen. Ich habe mit jedem irgendwann geprobt, und jeder hat auch für sich geübt, aber wirklich getroffen haben wir uns erst im Konzert. In der Generalprobe ging alles schief, was nur schiefgehen kann. Leute vergaßen Wiederholungen, meine großartige Cosängerin bekam plötzlich eine kleine Panikattacke, als sie merkte, wie langsam ich ein bestimmtes Lied haben wollte (lang + leise + hoch = argh), die Klarinette kam mit einem gebrochenen Fuß und ich selbst hatte um ein Haar sowohl mein Klavier als auch mich selbst für immer aus dem musikalischen Verkehr gezogen, als ich beim Packen zu Hause auf meinen Wollsocken ausgerutscht und mit lautem Krach auf der Kontraoktave gelandet bin.

Zwei Stunden vor dem Konzert, wir waren noch mitten im Soundcheck, wackelten plötzlich vier alte Damen in die Kirche und belegten eine Bank mit Sitzkissen und Plastiktüten. Dann winkten sie uns fröhlich zu und wackelten wieder raus. Der Kirchenmusiker, der diese Konzertreihe organisiert, aber meinem Programm etwas skeptisch gegenüberstand, starrte ihnen nach und brummte "das habe ich auch noch nicht erlebt".

Und dann gab es einen Moment kurz bevor das Konzert losgehen sollte, in dem ich schlagartig ruhig wurde. Es war, als würde mir jemand den Arm um die Schultern legen, mich in die Kirche schieben und mir sagen: Du gehst da jetzt rein und alles wird gut.
Und ich bin reingegangen und alles, wirklich alles, wurde einfach gut. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben überhaupt nicht nervös. Nicht vorher, nicht hinterher, nicht währenddessen. Es war, als würde ich liebe Freunde in mein geistiges Wohnzimmer einladen. Es war perfekt. Wenn ich mir etwas wünschen darf: Das will ich jetzt immer. Singen, spielen, mit so genialen Musikern um mich herum, Zeit haben, gemeinsam Stücke zu Ende zu entwickeln, Zeit für Aufnahmen, Zeit für Konzertreisen, Zeit, einfach nur zu Hause zu schreiben.

Manch einer, der mir versprochen hatte, er würde kommen, kam nicht, fast alle kommentarlos. Manch anderer, mit dem ich nie gerechnet hätte, war aber da. Warum bedeutet mir das so viel? Ganz einfach - das Gefühl, wenn man vor anderen Menschen singt, und dann auch noch Lieder, die von Dingen sprechen, die ein Stück der eigenen Seele bloßlegen, ist so intim, als würde man sich nackt ausziehen. Singen ist ohnehin so eine sehr intime Sache, finde ich. Man gibt so viel von sich preis, wenn man seine Stimme zeigt; man macht sich so verletzlich damit. Und deshalb wollte ich für den Fall, daß das Konzert eine Katastrophe wird, gerne Menschen um mich haben, die mich mögen und trösten, wenn ich mich ausheulen muß, und für den Fall, daß es ein Erfolg wird, wollte ich mit den Leuten jubeln, denen ich mich verbunden fühle.

In der Nacht schrieb mir eine Frau aus meinem Chor noch eine ganz rührende Email und fügte, obwohl sie keine Ahnung von meiner Affinität zu diesen Plüschzeppelinen hat, ein Bild mit einer Hummel an. Ein Mann aus meinem Chor schrieb mir ebenfalls, eine Chorleiterin aus der Nachbarstadt bat mich um Noten von einem A-Capella-Stück, von den 40 4-Titel-CDs, die ich gegen freie Spenden hingelegt habe, um diese Einnahmen in die nächsten Aufnahmetage investieren zu können, haben sich 35 verkauft… ich könnte noch hundert Hummeln aufzählen. Kurz: Es war einfach nur wunderwunderschön.

Pferdetina hat ihre eigenen Pläne über den Haufen geworfen und doch bei mir übernachtet mit der Begründung "you had me reduced to tears so often that I just can't take the 3 hours drive back now", so daß ich auch noch in den Genuß einer lieben Freundin und ihrer zwei Hunde auf meinem Sofa kam.
Am nächsten Tag mußte ich früh raus, Job B rief mit lauter Stimme, also nix mit Aftershowparty, aber dafür kleckerten im Laufe der Woche immer und immer wieder Leute an mir vorbei, die mir gratulierten oder mich einfach kurz in den Arm nahmen für dieses Konzert. Ja. Soviel dazu.

Jetzt noch ein wenig am Stadtrand stromern von heute früh:


Ich liebe manchmal häßliche Dinge ganz besonders. Sie ziehen mich an. Insbesondere Industrieruinen in schöner Landschaft kann ich nicht widerstehen.


Das hier ist eine winzige Vogelfeder, erst sorgfältig eingesponnen, dann auch noch mit Niesel bedeckt, so daß es aussieht wie eine Art outer space Qualle, nicht wahr?



Sie sind überall. Als Kind der Mark, das immer draußen im Wald gespielt hat, habe ich sehr schnell gelernt, im Herbst im Wald beim Gehen mit einem Stock vor mir herumzufuchteln oder wenigstens sehr aufmerksam zu bleiben. Wer einmal mit dem Gesicht in ein Kreuzspinnennetz gerannt ist, versteht mich.




Sie holen sich alles zurück. =)


Ein bißchen Schottland sind wir doch alle:



Irgendwann kam ich mir auch etwas vereinnahmt vor:


Rostjunkie






Donnerstag, 12. September 2013

Das Internet

Ein sehr lieber Bekannter sagte mir vor einigen Tagen: "Du hinterläßt aber eine breite Schneise im Internet, weißt Du das?" Das gab mir etwas zu denken. Und was ich dachte, ist ungefähr:
Nun ja, klar, weiß ich. Ist auch notwendig bis zu einem gewissen Grad - oder zumindest wird das ja immer bei Künstlern behauptet. Wir müssen findbar sein, uns bunt leuchtend auffindbar machen, denn schließlich: niemand sucht nach Kunst.

Aber wie viel von mir will ich wirklich in die Öffentlichkeit tragen? Ich mag es ja schon im Privatleben nicht, allzeit verfügbar zu sein; manchmal will man doch einfach nur verschwinden. Ich zumindest will das. Und außerdem habe ich im "realen Leben" (ich empfinde das Internet durchaus auch als real, aber das ist ein anderes Thema vielleicht) immer die Möglichkeit, Menschen im direkten (verbalen und nonverbalen) Kontakt einzuschätzen und mich dann im Moment zu entscheiden, was ich sage, tue, preisgebe. Ob es besser ist, mit diesem Menschen allein zu reden als in der Gruppe. Ob es besser ist, mit diesem Menschen gar nicht zu reden. Ob es vielleicht sogar wichtig ist, mit diesem Menschen jetzt zu reden, und falls ja, auf welche Art und Weise.

All dies bietet mir das Internet nicht. Hier schreibe ich, ohne die Leser zu kennen, die Suchenden, die womöglich beim Googlen hierhin oder dorthin klicken und mich fernab meiner persönlichen Zusammenhänge kennenlernen - bzw. eigentlich nicht kennenlernen, denn jeder wird sich aus den von mir sichtbaren Bruchstücken irgendetwas zusammensetzen, was letztlich wahrscheinlich mit der echten Hummel nur unwesentlich zu tun hat.
Andererseits habe ich genau diese Erfahrung auch schon mit Menschen gemacht, die mich teilweise jahrelang persönlich (ver)kannten. Vielleicht ist es einfach so, daß wir alle einander in Schubladen stecken, was immer wir von uns selbst behaupten würden, und nur die Wahl haben, wie groß oder eng diese Schubladen sind.

Zusätzlich zu diesem ja eher persönlichen Fragen besteht natürlich dauernd dieser leichte Verfolgungswahn. Niemand von uns weiß doch, was das Internet eigentlich wirklich ist und wie es funktioniert. Jetzt mal ehrlich - wer von uns könnte auch nur selbst Strom erzeugen? (Ohne Katzen zu quälen, meine ich.) Wer weiß schon, was wirklich ein Mikrochip ist und was da passiert?
Ich weiß es nicht. Und ich weiß auch nicht, wer die Menschen sind, die es wissen. Klar, ich habe Dan Brown gelesen und bin seither glücklicher Besitzer des Halbwissens, daß das Internet in der Schweiz erfunden wurde. Aber damit ist es auch schon wieder vorbei. Warum eine DSL-Schnittstelle nur einige km von der nächsten entfernt sein darf, es aber offenbar funktionierende Transatlantikkabel gibt, ist mir ein Rätsel. Und noch unzählige weitere Mysterien dieser Art.

Und dann kommen so Dinge wie ein Abhörskandal, als würden nicht seit Menschengedenken alle immer alle anderen abzuhören versuchen, ein Hype um Verschlüsselungen, der einem Teil von mir einleuchtet, einem anderen absurd erscheint, weil ich mich frage, ob das nicht genau dieselben Leute sind, die Lauschangriffe und Verschlüsselungsmittel in der Hand halten.
Wenn ich zocke, gehe ich davon aus (ich weiß nicht, ob es stimmt), daß alles, was ich in irgendeinem Chatfenster schreibe, auf einem Blizzard-Speicher bleibt. Schon alleine, damit Ingame-Mobbing oder welche Vergehen auch immer für den Spielehersteller nachvollziehbar bleiben.
Was mich nur massiv stört, ist, daß solche Dinge versteckt, verheimlicht, verschleiert werden - man versuche nur mal die Facebookrichtlinien wirklich zu durchschauen - und ich damit nicht mehr die Wahl habe, was ich sage. Ich kann nur entweder paranoid gar nichts mehr sagen oder mich als vollkommen durchsichtig betrachten. Das ist für mich ein krankes Kommunikationsverhältnis.

Eine Patentlösung habe ich auch nicht, und ich fürchte, viel mehr als "die da oben machen doch eh…" gehört nicht zu meiner Problembewältigungsstrategie.

Und jetzt fange ich mal an, meine Homepage, die seit Jahren vernachlässigt in der Ecke liegt, komplett über den Haufen zu werfen und neu zu bauen. ;-)