Freitag, 8. Juni 2012

Nachruf auf ein einzigartiges Auto

Gestern ist mein Auto, ich hatte es gerade erst "Ottilie" getauft, in unverdrossener Erfüllung seiner Pflichten den vehikulösen Heldentod gestorben. Ich war auf dem Weg zur Probe auf der Autobahn, hörte seltsame Geräusche und fuhr sofort die nächste Abfahrt herunter und suchte mir die nächste Werkstatt. Dort füllte man eine große Menge Öl ein (was mich wunderte, denn mein Autochen hat in seinen 15 Jahren Lebensdauer noch nie einen Tropfen Öl verbraucht, aber gestern war es tatsächlich staubtrocken) und schickte mich mit einem freundlichen Schulterklopfer und "jetzt geht alles wieder" wieder auf den Weg.

Dankbar fuhr ich wieder auf die Autobahn, rollte (nun schon etwas schneller, damit ich noch pünktlich zur Probe komme) 20 Kilometer vor mich hin und hörte dann sehr ähnliche Geräusche. Dann fing es an zu röhren. Ich schaltete vom Autogas auf Benzinbetrieb um, aber es wurde nicht besser. Dann verlor es Leistung. Ich schaltete vorsichtshalber den Warnblinker ein und lenkte mich Richtung Seitenstreifen, um dort erstmal anzuhalten, als Otti mir die Entscheidung abnahm und mit einem gut hörbaren Klonk den Betrieb einstellte.

Ich rief den ADAC an, der mir versicherte, bei meinem gefährlichen Standort würde man sich rasch um mich kümmern, ich solle mal das Dreieck aufstellen und mich dann hinter den Pannenstreifen begeben und dort warten. Das klang leichter, als es war, denn hinter dem Pannenstreifen war ein steil abschüssiger, mit Wasser gefüllter Graben. Ich tigerte also 40 Minuten (ja, rasch ist relativ) auf dem Pannenstreifen hin und her, aß Käsebrote, begann schließlich laut zu singen, weil ich schon immer mal auf offener Straße laut singen wollte - und eine offenere Straße hätte ich kaum finden können, ich habe mich selbst kaum gehört - und war selig, als der Pannenwagen auftauchte.

Unser Gespräch lief ungefähr so ab:
Er: "*%§(§" auf die /%§!)§ Kurbelwelle §(§!%(§ locker und §%(!"
Ich: "WAS?"
Er: "ICH KOMM NICHT RAN!"
Kurzer ratloser Moment.
Er: "*unverständliches Gebrüll*"
Ich: "WAS?"
Er: "GANG REINLEGEN!"

Und so weiter.

In diesem Moment mußte ich an Kühe denken. Man sieht doch immer so viele Kühe auf Weiden direkt neben den Autobahnen grasen. Ich frage mich ernsthaft, ob man das als Freilandhaltung betrachten kann. Dieser Lärm war abartig! Die Autobahn war lauter als Ottis letztes Röhren, und das will was heißen! Haben die Kühe nicht alle einen Dachschaden oder zumindest ein erhebliches Stressmoment? Wie gesund ist das Getreide, das ein Bauer auf der anderen Seite des Pannenstreifengrabens gestern mähte? Wird da Biobrot draus?

Irgendwann meinte der ADAC-Mensch, ich solle mal versuchen zu starten. Das tat ich, und Otti sagte "NZ". Das klang gar nicht gut, das fand mein Helfer auch, weshalb er mich abschleppte. Abgeschleppt werden ist aufregend, ein bißchen wie Copilot sein, und wenn man noch in seliger Ahnungslosigkeit darüber lebt, daß das Auto irreparabel beschädigt ist, macht es wirklich Spaß.

An der nächsten Tankstelle entschied ich, Otti in heimatliche Gefilde überführen zu lassen. Ich wartete 2 weitere Stunden auf den Abschleppwagen. Abschleppwagen fahren macht auch Spaß. Der ADAC-Mann verdient das doppelte wie ich und findet das noch beklagenswert. Vielleicht sollte ich Abschleppwagenfahrer werden.
In der Vertragswerkstatt angekommen rollten wir Otti ins Behandlungszimmer und fuhren nach Hause (ich wurde abgeholt). Kurz darauf rief der nette Chefmechaniker an und erklärte mir, der Motorblock sei von irgendwas durchschlagen worden ("Klonk") und das Auto sei leider nicht mehr fahrbereit zu kriegen ("NZ"). Einen Motor irgendwo aufzutreiben und einzubauen und zu hoffen, daß der mit der Gasanlage kompatibel sei, würde etwa so viel kosten wie ein deutlich besserer Gebrauchtwagen, und dann sei immer noch nicht klar, ob Otti es im September durch den TÜV schaffen würde.




Farewell, Otti. Du warst so zuverlässig. So grün. Du hattest diesen total überflüssigen sexy Heckspoiler. Anstelle einer Klimaanlage, was mich regelmäßig ganzkörperlich zum Schmelzen brachte, nicht nur das Herz. Fahren mit Dir war so naturnah. Bei Regen waren Deine Anschnallgurte naß, bei Kälte hast Du stets auch innen die Eisblumen für mich blühen lassen, bei jedem Windstoß hast Du Dich gefühlvoll in die Kurve gelegt. Du hattest ein CD-Radio, dessen scheppernde Klänge die Handschuhfachklappe und sämtliche Lüftungsteile zum Vibrieren brachten. Du hast Deine Dachantenne so verzweifelt festgehalten, daß mich keine Tankstelle in die Waschanlage fahren lassen wollte und ich Dich immer schön von Hand schrubben durfte. Und Du hattest in all unseren gemeinsamen Jahren nicht die kleinste Panne - bis gestern. Die erste mußte auch gleich die letzte sein.

Leb wohl.




3 Kommentare:

Athena hat gesagt…

Oh Mann, das ist ja am Ende geradezu ergreifend geschrieben... :( Aber der Rest dafür umso unterhaltsamer (sorry), richtig witzig und spannend geschrieben - toll :-)) Ich bin ja ohnehin nur froh dass Du mit dem Schrecken und der Trauer, aber heiler Haut, davon gekommen bist...
Leb wohl, Otti :-*

Tricia Danby hat gesagt…

Leb wohl, Otti.

Das mit den Anschnallgurten hat mich zum lachen gebracht ;)

Hummel hat gesagt…

Otti wird gerade ersetzt - morgen gehe ich zur Zulassungsstelle.
Und die Gurte haben mir regelmäßig eine feuchte Schärpe verpaßt. ;-)