Sonntag, 15. September 2013

Konzertnachlese | Regenfotosafari

Eigentlich wollte ich heute mein Reisetagebuch beenden. Aber dann kam mir etwas dazwischen: nach nur 4 Stunden Schlaf bin ich aufgewacht - und alles war perfekt. Wie lange habe ich morgens schon nicht mehr gelächelt? Aber heute, heute war alles perfekt. Es hat sogar genieselt, weshalb meine erste Handlung am Morgen darin bestand, mich in Jeans und Fleecejacke zu stecken, mit der Kamera zu bewaffnen und hinauszugehen.

Aber erstmal einen Schritt zurück: Gestern war ich auf dem Geburtstag meines Bruders und seiner Tochter. Das ist immer wieder schön, von der riesigen Familie ein Drittel oder so (um die 20 Mann) in seinem Garten zu treffen, Tischtennis zu spielen, mal wieder mit meiner ältesten Nichte zu reden, die zwar in der Nähe wohnt, aber zu der ich irgendwie trotz des geringen Altersunterschieds von nur 5 Jahren nie so ein echtes Verhältnis aufgebaut habe, und überhaupt und so.

Die Eltern meiner Schwägerin waren auch da. Das ist ein wunderbar herzliches altes, dickes Pärchen, das völlig kritikfrei durch's Leben geht. Sie finden einfach immer alles toll - manchmal macht mich das wahnsinnig, vor allem dann, wenn sie es anstelle einer notwendigen Problembewältigung stellen, aber meistens macht es sie zu unkompolizierten Gesprächspartnern, die einfach auf jeder Party als Kitt zwischen all den wesentlich kritikbereiteren Persönlichkeiten fungieren. =)
Diese beiden sind gesundheitlich nicht mehr besonders gut drauf, haben es sich aber dennoch nicht nehmen lassen, vor einer Woche über eine Stunde aus Berlin raus zu mir aufs Land zu fahren und sich mein Konzert anzuhören. Und weil sie an dem Tag keine Blumen für mich dabei hatten, aber im Nachhinein fanden, das müsse unbedingt sein, bekam ich gestern eine wunderschön duftende Rose.


Hach. Womit ich bei der Konzertnachlese bin. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Vielleicht chronologisch… dieses Konzert war mein erster ganz eigener Liederabend. Mein erstes Lied habe ich mit 12 geschrieben, dann viele Jahre nichts, dann (nachdem ich jahrelang um Ashmodais Gedichte gekreist bin - das hier zum Beispiel, das immer noch "in Arbeit" auf meinem Klavier liegt - und mich endlich irgendwann getraut habe, sie zu fragen, ob ich da was vertonen darf) wieder mit fast 30.

Ich habe gespart wie bekloppt, um mir CD-Aufnahmen leisten zu können, und dann reichte es nur für 4 Lieder. Also spare ich weiter. Ich habe Musiker um mich herum, die für dieses Konzert für mich ohne Gage spielen wollten, einfach, damit ich mich nicht daran ruiniere, weil der Eintritt ja immer frei ist und man nie sagen kann, wieviel im Spendenkorb liegt. Und dann kam genug rein, da die Besucher begeistert gespendet haben und der verantwortliche Kirchenmusiker noch etwas aufgestockt hat.

Außer mir waren noch 8 Leute auf der Bühne, und es gab wirklich, meinen schlimmsten Alpträumen vorher gemäß, nicht eine einzige Probe mit uns allen 9 zusammen. Ich habe mit jedem irgendwann geprobt, und jeder hat auch für sich geübt, aber wirklich getroffen haben wir uns erst im Konzert. In der Generalprobe ging alles schief, was nur schiefgehen kann. Leute vergaßen Wiederholungen, meine großartige Cosängerin bekam plötzlich eine kleine Panikattacke, als sie merkte, wie langsam ich ein bestimmtes Lied haben wollte (lang + leise + hoch = argh), die Klarinette kam mit einem gebrochenen Fuß und ich selbst hatte um ein Haar sowohl mein Klavier als auch mich selbst für immer aus dem musikalischen Verkehr gezogen, als ich beim Packen zu Hause auf meinen Wollsocken ausgerutscht und mit lautem Krach auf der Kontraoktave gelandet bin.

Zwei Stunden vor dem Konzert, wir waren noch mitten im Soundcheck, wackelten plötzlich vier alte Damen in die Kirche und belegten eine Bank mit Sitzkissen und Plastiktüten. Dann winkten sie uns fröhlich zu und wackelten wieder raus. Der Kirchenmusiker, der diese Konzertreihe organisiert, aber meinem Programm etwas skeptisch gegenüberstand, starrte ihnen nach und brummte "das habe ich auch noch nicht erlebt".

Und dann gab es einen Moment kurz bevor das Konzert losgehen sollte, in dem ich schlagartig ruhig wurde. Es war, als würde mir jemand den Arm um die Schultern legen, mich in die Kirche schieben und mir sagen: Du gehst da jetzt rein und alles wird gut.
Und ich bin reingegangen und alles, wirklich alles, wurde einfach gut. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben überhaupt nicht nervös. Nicht vorher, nicht hinterher, nicht währenddessen. Es war, als würde ich liebe Freunde in mein geistiges Wohnzimmer einladen. Es war perfekt. Wenn ich mir etwas wünschen darf: Das will ich jetzt immer. Singen, spielen, mit so genialen Musikern um mich herum, Zeit haben, gemeinsam Stücke zu Ende zu entwickeln, Zeit für Aufnahmen, Zeit für Konzertreisen, Zeit, einfach nur zu Hause zu schreiben.

Manch einer, der mir versprochen hatte, er würde kommen, kam nicht, fast alle kommentarlos. Manch anderer, mit dem ich nie gerechnet hätte, war aber da. Warum bedeutet mir das so viel? Ganz einfach - das Gefühl, wenn man vor anderen Menschen singt, und dann auch noch Lieder, die von Dingen sprechen, die ein Stück der eigenen Seele bloßlegen, ist so intim, als würde man sich nackt ausziehen. Singen ist ohnehin so eine sehr intime Sache, finde ich. Man gibt so viel von sich preis, wenn man seine Stimme zeigt; man macht sich so verletzlich damit. Und deshalb wollte ich für den Fall, daß das Konzert eine Katastrophe wird, gerne Menschen um mich haben, die mich mögen und trösten, wenn ich mich ausheulen muß, und für den Fall, daß es ein Erfolg wird, wollte ich mit den Leuten jubeln, denen ich mich verbunden fühle.

In der Nacht schrieb mir eine Frau aus meinem Chor noch eine ganz rührende Email und fügte, obwohl sie keine Ahnung von meiner Affinität zu diesen Plüschzeppelinen hat, ein Bild mit einer Hummel an. Ein Mann aus meinem Chor schrieb mir ebenfalls, eine Chorleiterin aus der Nachbarstadt bat mich um Noten von einem A-Capella-Stück, von den 40 4-Titel-CDs, die ich gegen freie Spenden hingelegt habe, um diese Einnahmen in die nächsten Aufnahmetage investieren zu können, haben sich 35 verkauft… ich könnte noch hundert Hummeln aufzählen. Kurz: Es war einfach nur wunderwunderschön.

Pferdetina hat ihre eigenen Pläne über den Haufen geworfen und doch bei mir übernachtet mit der Begründung "you had me reduced to tears so often that I just can't take the 3 hours drive back now", so daß ich auch noch in den Genuß einer lieben Freundin und ihrer zwei Hunde auf meinem Sofa kam.
Am nächsten Tag mußte ich früh raus, Job B rief mit lauter Stimme, also nix mit Aftershowparty, aber dafür kleckerten im Laufe der Woche immer und immer wieder Leute an mir vorbei, die mir gratulierten oder mich einfach kurz in den Arm nahmen für dieses Konzert. Ja. Soviel dazu.

Jetzt noch ein wenig am Stadtrand stromern von heute früh:


Ich liebe manchmal häßliche Dinge ganz besonders. Sie ziehen mich an. Insbesondere Industrieruinen in schöner Landschaft kann ich nicht widerstehen.


Das hier ist eine winzige Vogelfeder, erst sorgfältig eingesponnen, dann auch noch mit Niesel bedeckt, so daß es aussieht wie eine Art outer space Qualle, nicht wahr?



Sie sind überall. Als Kind der Mark, das immer draußen im Wald gespielt hat, habe ich sehr schnell gelernt, im Herbst im Wald beim Gehen mit einem Stock vor mir herumzufuchteln oder wenigstens sehr aufmerksam zu bleiben. Wer einmal mit dem Gesicht in ein Kreuzspinnennetz gerannt ist, versteht mich.




Sie holen sich alles zurück. =)


Ein bißchen Schottland sind wir doch alle:



Irgendwann kam ich mir auch etwas vereinnahmt vor:


Rostjunkie






7 Kommentare:

Silberweide hat gesagt…

Sollte es nicht genau so sein: In der Generalprobe muss/darf vieles schief gehen, denn dann ist es erledigt und die Vorstellung kann nur ein Erfolg werden?!?

Gratulation, ich lese große Zufriedenheit aus Deinen Zeilen und auch berechtigten Stolz, Chapeau♥

Nun bin ich ja weit weg von Hummels Flugbahn, möchte aber sehr gerne auch einmal den Tönen lauschen.....vor allem, wenn doch von 40 Tonträgern noch 5 übrig sein müßten?! *mitnerSpendewinkt*

Zauberhafte Sonntagsgrüße♥

smilehelper hat gesagt…

Hummelchen, Du sprichst mir ganz tief aus der Seele, wenn Du das Singen als äußerst intimen Akt bezeichnest. Ja, man zeigt Gefühl, ja, man wird dadurch soooo verletztlich. Warum nur wird man in der Gesellschaft oft seltsam belächelt, wenn man Gefühle zeigt, aber in der Musik dafür doch dann meist bewundert? Das ist auf jeden Fall wunderbar und soll auch weiter bewundert werden, denn es erfordert viel Mut, aber ich würde mir wünschen, dass man sich auch in der Gesellschaft gegenseitig mehr öffnet, Gefühle zeigt bzw. Gefühle zeigen zulässt. Undzwar im ganz normalen Alltag, nicht nur wenn es um Mitgefühl oder Anteilnahme bei Katastrophen und Unglücken geht (was ich hier aber KEINESFALLS kritisiere).

Ich hätte auch gerne einmal den Mut, allein auf einer Bühne zu stehen und meine Zuhörer (hoffentlich) zu begeistern.

Hummelchen, Du fliegst genau in die richtige Richtung. Bleib auf deinem Weg! <3

Hummel hat gesagt…

Ja, das sagt man so mit der Generalprobe. Aber es ist trotzdem echt kein gutes Gefühl, wenn kurz vor dem Konzert so viel schiefgeht. =)
Das läßt sich machen mit der CD. Mail mir mal an comgallofbangor @ gmx . de
und gib mir Deine Adresse. Aber wie gesagt: Sind nur 4 Lieder drauf bisher. =)

@Smiley: Finde ich auch. Aber ich glaube, das scheitert schon daran, daß die meisten Menschen sich ihrer eigenen Gefühle gar nicht bewußt sind, ja, es vielleicht sogar vermeiden, sich ihnen bewußt zu stellen. Denn auch damit macht man sich ja verletzlich, muß sich womöglich Schwächen oder vermeintliche Schwächen eingestehen und vielleicht sogar irgendwie das eigene Verhalten ändern… dann lieber gar nicht richtig hinsehen.
Darüber wollte ich auch schon lange mal bloggen, aber im Moment fehlt mir einfach die Zeit für so ein großes Thema.

Tricia Danby hat gesagt…

Ich wäre liebend gerne auf deinem Konzert gewesen ... aber du weißt, es ging leider nicht. Im Geiste waren wir jedoch bei dir und haben sehr an dich gedacht!

Ich hoffe, dass es zum nächsten Konzert von deiner wunderschönen Musik klappen wird.

Ich möchte mich auch nicht 1000 Mal wiederholen - du kennst meinen Standpunkt zu Dir, deiner Musik und dem was du schaffen kannst und auch wirst (da bin ich fest von überzeugt).

athena hat gesagt…

Ach wie schön das doch zu lesen ist und auch vorher schon... am Telefon... in unserem Tagebuchblog ♡ Ich freu mich so riesig für Dich und bin so stolz auf Dich (darf man das sagen, als Freundin?)! ♡ Der Tag kommt, da werde ich selbst auch in der ersten Reihe sitzen und Dir lauschen :-*
Und die Fotos von Deinem Regenspaziergang sind wirklich ausgesprochen schön :) Erinnerten mich irgendwie an meinen kleinen Waldausflug mit J. ;-) Vor allem was die ganzen außerirdisch anmutenden Objekte angeht, hihi.

Hummel hat gesagt…

Du darfst sowas immer sagen, Mausi. =) Danke Dir! (Man hört übrigens in den meisten Sälen im hinteren Drittel besser. ^^)

@Feona: Ja, ich kann, ich will und ich werde.

athena hat gesagt…

Aber ich will Dich ja auch noch sehen ;-*